3.GM - Sein Dürfen

Persönlichkeit wächst durch Be - Achtung, Wertschätzung, Gerechtheit

Waibel, E.M, Wurzrainer, A., 2016, Motivierte Kinder- authentische Lehrpersonen. Beltz Juventa: Weinheim und Basel

Der Selbstbezug

In unserem Leben erfahren wir uns als ein, in der Bewältigung unseres Lebens, auf uns selbst gestelltes Subjekt, als eigenständige Person. Es kommt auf uns an!

Wir erleben, dass uns niemand unsere Angst, unseren Ärger, unsere Verzweiflung abnehmen kann. Nur wir wissen genau, was gut für uns ist. Daher erleben wir unser Leben als Ich-haft.

 

Existenzielle Fragen lauten daher:

  • Spüre ich mein Ich?
  • Wie fühlt es sich für mich an, dass ich ich bin?
  • Bin ich bei mir oder bin ich mir selbst fremd?
  • Gelingt es mir auch im Alltag, die Beziehung zu mir zu halten?
  • Gehe ich auf mich und mein Gespür ein?
  • Darf ich so sein wie ich bin, oder muss ich mich verstellen und anpassen, um akzeptiert zu werden?
  • Kann ich hinter dem stehen, wie ich bin? 
  • Kann ich zu mir stehen?
  • Kann ich mich so vor mir selbst und anderen sehen lassen?

 

Die Grundfrage des Personseins lautet also: Ich bin ich - darf ich so sein?

(Längle, A., 2013, S.79)

In dieser Dimension geht es darum, sich selbst ins Spiel zu bringen, sich selbst zu erkennen und (sich) selbst zu werden. Das bedeutet, die eigene Person, das eigene Person-Sein in Empfang zu nehmen. Erst wenn wir zu uns selbst eine Beziehung haben, können wir andere Menschen ansehen, ernst nehmen und wertschätzen.

Wird diese Grundbedingung erfüllt kommen wir in Kontakt zu unserem eigenen (goldenen) Wesenskern und es entwickelt sich unser SELBSTWERT.

Selbstwert steht für das Gefühl für den Wert der eigenen Person. Dies geschieht auf der Basis der Fremd – und Selbsteinschätzung.

Das „existenzielle Grunderleben der Andersartigkeit und der potenziellen Einsamkeit“ führt uns einerseits zu uns selbst zurück und andererseits macht es dieses notwendig, das Eigene vom Anderen abzugrenzen (Längle, A., 2000, S.39 und 2013, S. 80). Dabei stellt sich der Mensch die Frage „Darf ich so sein, wie ich bin?“ oder muss ich mich verstellen und anpassen, um akzeptiert zu werden?

 

Die Themen der 3. Grundmotivation sind also Identität und Authentizität.

Diese basieren auf den drei Pfeilern:

  1. Be-Achtung
  2. Gerechtheit
  3. Wertschätzung

Der Selbstwert entwickelt sich durch personale Begegnungen, bei denen die Person be – achtet und wertgeschätzt wird und ihr Gerechtheit widerfährt. Die Zustimmung von außen muss aber eine innere Zustimmung finden, um zu sich selbst zu stehen und sich, so wie man ist, in der Öffentlichkeit sehen lassen zu können.

Dialogische Ausrichtung der Person

Erschütterungen dieser Grundmotivation führen zu Problemen in der Abgrenzung zu anderen, zu Vereinsamung und Sozialängsten sowie zu den meisten Persönlichkeitsstörungen (vgl. Längle, A., 2000, S. 40).

Der Selbstwert wird aber auch durch die „Energiezufuhr“ Personaler Werte immer wieder aufgefüllt, (siehe Wertelehre und Werteerziehung)

 

Erziehung und Unterricht

Umgang der Lehrenden mit den Kindern

  • Personaler Zugang: Das Kind darf so sein, wie es ist, mit seiner Befindlichkeit, seinem So-Sein, seinen Werten, seinem ganzen Sein.
  • Die Lehrenden sehen die Lernenden in ihrer Person und Potenzialität.
  • Die Kinder dürfen sich erproben und von ihrer besten Seite zeigen.

 

Fragen, die sich den Kindern stellen

  • Wie ist das für mich, dass ich ich bin?
  • Darf ich in der Schule so sein, wie ich bin?
  • Kann ich mich so sehen lassen?
     

Zentrales Thema der Schule, des Unterrichts:

Wie kann das Kind bei der Entfaltung seines Selbst unterstützt werden?

 

Beachtung

Beachtung zu erhalten meint, Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme zu bekommen, von anderen gesehen, an-gesehen, in der eigenen Person erkannt zu werden. Beachtung bildet gemeinsam mit der Beziehung den Grundstein für personale Begegnung. So entsteht ein Bild von sich selbst, das sich von anderen unterscheidet, die Erkenntnis der eigenen Einmaligkeit und Einzigartigkeit und der Bedeutung des Zusammenlebens mit anderen ( vgl. Längle, A., 2013, S. 79)

Durch Be-Achtet-, Angesehen- und Wertgeschätzt- Werden durch sich selbst und die Anderen entwickelt sich der eigene Wille.
 

Beachtung im Unterricht

  • Personales, der Person gerecht werdendes Feedback bis hin zum Coaching, das zu einem stimmigen Selbstbild der SuS führt. Daraus lernen sie, Selbsteinschätzungen durchführen zu können.
  • Präsentation eigener Arbeiten fördert den Glauben an die eigenen Fähigkeiten und die eigene Selbstwirksamkeitsüberzeugung.
  • Teilnahmemöglichkeit der Eltern an den Präsentationen
  • Interesse an den Ideen und Anregungen der SuS, dadurch erfährt das Kind mehr von sich.
  • Möglichkeiten der Umsetzung der eigenen Ideen im Unterricht schaffen.
  • Persönliche Briefe an SuS und Eltern
  • Teilnahme der SuS an Elterngesprächen

Beachtung meint immer die ganze Person, nicht nur deren Leistung oder das Verhalten, das sich zeigt.

 

Gerechtheit

Uns allen kommt das Recht zu, so zu sein, wie wir sind, „Gerechtheit“ zu erfahren.

Zwei Seiten der Gerechtheit:

  • Erleben wir, dass andere Menschen unserer Person gerecht werden?
  • Werden wir uns selbst gerecht? (s. oben: Dialogische Ausrichtung der Person)
  • Werden wir von anderen Menschen als Person wahrgenommen, präzisiert und bestätigt das unser eigenes Empfinden. Wir spüren durch dieses Gerecht-werden unserer Person unsere eigene Mitte, unsere Werte und unseren Willen. Wir lernen zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, was die Grundlage für das Gewissen bildet. Hier liegt der große Bildungsauftrag!
     

Wir werden Kindern gerecht …

  • wenn wir sie in ihrem inneren Wesen und ihrer Potenzialität erkennen.
  • wenn wir durch individuell angepasste Anforderungen auf ihre Stärken setzen.
  • wenn sie ihre Ziele selbst erstellen dürfen und für deren Verfolgung die Verantwortung tragen.
  • wenn sie angehalten werden, ihre Arbeitsleistung selbst einzuschätzen, um sich selbst gerecht zu werden.


Auswirkungen dieser Zugangsweise in der Pädagogik

  • Durch das Erfahren von Gerechtheit lernt das Kind, vor sich selbst bestehen zu können, um sich nicht zu verfehlen.
  • Sein Empfinden für das Richtige wird gestärkt.
  • Sein Vertrauen in die eigenen Gefühle wächst.
  • Kinder müssen nicht perfekt sein.
  • Sie müssen auch nichts Bestimmtes tun, um geliebt zu werden.
  • Sie dürfen „Nein!“ sagen und sich dadurch abgrenzen, werden immer akzeptiert.
  • Sie lernen dabei,
    • sich auch anderen Personen gegenüber gerecht zu verhalten o
    • rücksichtsvoll zu agieren
    • sich gegenseitig zu unterstützen.
  • Sie werden sich selbst gerecht, indem sie eigene Ziele erstellen und verfolgen.
     

Sich selbst gerecht wird die Person, wenn sie sich in ihrem Gespür ernst nimmt.

(Längle, A., 2013, S. 80)

Wenn wir Kinder vergleichen, was in der Schule spätestens bei der Leistungsfeststellung, aber auch bei jeder Form von Wettkampf geschieht, arbeiten wir dieser Intention entgegen.

Wertschätzung

Wertschätzung ist die ganz persönliche Beurteilung unseres eigenen Verhaltens durch andere, in der Folge aber auch durch uns selbst.

Sie bildet einen wesentlichen Pfeiler des Selbstwerts, denn auf diese Weise erhält das eigene Bild nicht nur Form und Kontur, sondern auch Festigkeit. (vgl. Längle, A., 2013, S. 80).

Auf diese Weise wird das Bild von uns selbst immer klarer, Selbstbild und Fremdbild gleichen einander an. Erhält das Kind wertschätzende Rückmeldungen über die eigene Person und das Verhalten, lernt es, sich selbst einzuschätzen. Es kommt zu einer positiven Selbsteinschätzung, Kinder erfahren mehr von sich und ihren Stärken.

Wertschätzung bringen wir Kindern entgegen …

  • wenn wir ihre Freiheit und Verantwortung ernst nehmen und sie ihnen zugestehen.
  • wenn wir sie in ihrer Einmaligkeit und Einzigartigkeit bestärken.
  • wenn wir sie so haben wollen, wie sie sind.
  • wenn wir sie mit ihren Werten, mit dem, was ihnen wichtig ist, sehen.
  • wenn wir ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten, Lernerfolge beachten und sie in ihrer Weiterentwicklung unterstützen

Das gibt ihnen nicht nur Halt, sondern stärkt die Person und führt zu Selbstwert und Authentizität.

Schablonen behindern das Lernen

Quelle: Waibel, E.M, Wurzrainer, A. (2016), Motivierte Kinder- authentische Lehrpersonen . Beltz Juventa: Weinheim und Basel

Schablonen setzen die Gleichartigkeit aller voraus. Da jede Person anders ist, werden Kinder und Lehrpersonen durch Schablonen jeglicher Art in ihrem Lernprozess behindert. 

Schablonen bilden Unterrichtsvorbereitungen, Lernpläne, Medien (Bücher,…), die nicht am Kind orientiert sind. Bei Unterrichtsvorbereitungen, die nicht von der Lehrperson selbst erstellt oder an die Erfordernisse angepasst wurden, fehlen Bezüge zur eigenen Person und die Vorüberlegungen zu den einzelnen SuS der je eigenen Klasse.

Veröffentlicht am 09.03.2022