Fundament / Antworthaltung

Waibel, E.M, Wurzrainer, A., 2016, Motivierte Kinder- authentische Lehrpersonen. Beltz Juventa: Weinheim und Basel

Antworthaltung versus Anspruchshaltung

„Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie kräftig an und handelt.“           (Dante Alighieri)

Antworthaltung

  • Machen wir etwas aus dem, was uns die Welt vorgibt?
  • Finden wir auf die „Anfragen“ der Welt die passende Antwort, suchen wir aktiv die enthaltenen Lösungen?
  • Gehen wir die Herausforderungen aktiv an und verändern sie?
  • Ändern wir die Einstellung gegenüber Gegebenheiten, die wir nicht ändern können?

Antworthaltung in der Pädagogik

Andere Menschen können wir nicht ändern, aber uns selbst. In diesem Sinne bedeutet Erziehung – frei nach Hebbel – nicht etwas, sie ist die Gelegenheit zu etwas.

In der existenziellen Pädagogik handeln wir aus der Antworthaltung heraus, besonders auch in schwierigen Situationen mit SuS, Eltern, Vorgesetzten, Schulreformen und Behörden.

Diese Anfragen stellen uns immer wieder im wahrsten Sinne in Frage und fordern eine persönliche Antwort. Wenn wir nicht selbst gestalten, werden wir gestaltet.

 

Antworthaltung in der Existenziellen Pädagogik

Personal zu antworten heißt, eine eigene auf das jeweilige Kind und die jeweilige Situation zugeschnittene Antwort zu finden. Vorgefertigte Rezepte und Konzepte gibt es hier nicht.

„Was braucht dieses Kind jetzt von mir?“

Was braucht dieses eine Kind in diesem Moment für seine Weiterentwicklung von mir. Das muss nicht mit den Wünschen des Kindes übereinstimmen, hat also gar nichts mit einer „Laissez-faire-Haltung“ zu tun. Das setzt voraus, auf Augenhöhe mit dem Kind zu kommunizieren und die beiderseitigen Bedürfnisse und Werte ernst zu nehmen und sie bei Bedarf abzugleichen.

Antworthaltung und Verantwortung

Ver-antwort-ung heißt nichts anderes als antworten.

Für unsere, aus der Freiheit der Entscheidung entspringende Antwort sind wir allein verantwortlich. Für die Antworten anderer Menschen sind wir nicht zuständig. Übernehmen wir sie, ist es übergriffig und führt oft zu Widerstand und Abwehrhaltung.

Im Existenziellen Unterricht wird das Kind als Person mit seiner Potenzialität gesehen und damit als eigenständiges Wesen, das wir ernst nehmen und respektieren.

Fragen aus einer unterrichtlichen Antworthaltung

  • Vor welche Herausforderungen stellt mich die unterrichtliche Tätigkeit? Welche Form der Organisation, welche Rahmenbedingungen, welche Methoden, … wende ich an?
  • Wie gehe ich mit herausfordernden Situationen um, bei denen meine Werte in Frage gestellt werden? Wenn jemand z.B. Grenzen überschreitet und sich nicht an die Regeln hält?
  • Welche Voraussetzungen sind notwendig um der/m je einzelnen SuS bestmöglich gerecht zu werden?
  • Hilfreiche Fragen für die Unterrichtsvorbereitung
  • Woran arbeitet die/der einzelne SuS im Moment?
  • Welche Ziele wollen die einzelnen SuS und ich als Lehrperson erreichen?
  • Welche Potenziale nehme ich an den SuS wahr?
  • Was macht mich zuversichtlich, dass die/der SuS dieses Ziel auch erreichen kann?

Unterrichtliche Antworthaltung

Konkret bedeutet dies, als Lehrperson im dialogischen Austausch mit den SuS für jedes Kind Anregungen und Impulse zu finden, die sicherstellen, dass das jeweilige Lernpotenzial der Kinder entwickelt und ausgeschöpft werden kann. Voraussetzung sind Interesse, Offenheit und Einfühlung in die andere Person und deren Entwicklung. Diese haben nicht nur das Kind und dessen Entfaltungsraum im Blick, sondern immer auch den eigenen pädagogischen Entfaltungsraum.

Lehrpersonen können sich die Kinder nicht aussuchen, sehr wohl aber die Haltung, die sie einnehmen, dementsprechend sieht dann ihre Antwort aus:

  • Anspruchshaltung: Beklagen
  • Antworthaltung: Situation und Kinder so annehmen wie sie sind und die durchscheinende Potenzialität zu erkennen versuchen

Auch Kindern sollte hier ein Übungsfeld geschaffen werden, diese Antworthaltung einzunehmen. Oft wird ihnen zu viel abgenommen, von tatsächlichen Antworten, die Erwachsene an ihrer Stelle geben bis hin, dass sie keine Möglichkeiten finden, Antworten auf Situationen zu geben, die ihnen das Leben, der Lernprozess zur Verfügung stellen. In der Antwort sind wir frei und damit aber auch eigenverantwortlich, z. B.: Kinder bringen ihre Schulsachen mit, machen ihre HÜ, halten Ordnung im Tischfach, nehmen ihr Schulleben und Lernen selbst in die Hand, stehen zu ihren Antworten und lernen, mit den Konsequenzen umzugehen.

Kindern werden in einer verwöhnenden, ängstlichen Haltung zu viele Antworten abgenommen, damit werden sie aber auch „entmündigt“.

Die Antworthaltung fordert uns im Gegensatz zur Anspruchshaltung zu Aktivität als ganze Person heraus, nicht nur mit unserem Wissen, sondern auch mit unseren Gefühlen und Einstellungen. Sie verlangt von uns, aktiv zu werden und mutig zu sein. Das kann unter Umständen erfordern, neue Wege zu gehen oder uns zu verändern.

Wir stellen unsere Werte den Bedürfnissen, Wünschen oder dem Wollen des Kindes gegenüber. Das erfordert ein Sich-gegenüber-Setzen, ein Sich-in-die Augen-Schauen und ein gegenseitiges Betrachten der Werte. Verantwortung vor dem Kind meint, dass wir als Treuhänder/innen auf der Basis der Werte des Kindes handeln, aber nur, wenn das Kind noch zu klein ist, um seine Werte selbst einzubringen.

Durch Übungen zum „kleinen Glück“ von Luc Isebaert (2009, S. 115), wird die Antworthaltung unterstützt.

  • Was haben wir in den letzten Tagen gemacht, womit wir zufrieden sind?
  • Was noch?
  • Was hat jemand anderer gemacht, wofür wir dankbar sind?
  • Was noch?
  • Wie haben wir darauf reagiert/hätten wir reagieren können, dass sich die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung erhöht?
  • Was ist sonst noch passiert, worüber wir uns freuen?
  • Was noch?

Theorie und Praxis

Für diese Art des Unterrichts gibt es kein allgemeines praktisches Handlungswissen, weil jedes Kind, jede Situation anders ist und damit andere Antworten braucht. Um weg von Beliebigkeit zu kommen braucht es durchdachte und fundierte Handlungsleitlinien, die sich aber verändern können, als Ausgangsbasis für reflektiertes, praktisches Handeln. Ein solches Leitsystem können wir als Theorie bezeichnen - eine gute Theorie ist auch praktikabel.

Das Verhältnis von Theorie und Praxis, S. 40

Wenn sich Personen und Situationen ständig ändern, besteht die Herausforderung darin, sich schnell ein Gesamtbild aus den einzelnen Komponenten zu erstellen sowie sich in andere hineinversetzen zu können.

Hierbei sind wir ganz auf uns selbst zurückgeworfen, auf unser Wissen, unsere Theorie, unser Welt-und Menschenbild, unsere Werte sowie unsere Fähigkeiten, mit der Welt und den Menschen umzugehen. Wir sind als Person angefragt in dem, was uns wichtig und wertvoll ist.

„Richtiges“ und „falsches“ Handeln

Allgemein kann eine pädagogische Handlung dann als „gut“ angesehen werden, wenn sie Raum, Schutz und Halt bietet (1. GM.), wenn sie die Beziehung stärkt (2.GM), wenn sie auf der Grundlage der                Be -Achtung, „Gerechtheit“ und Wertschätzung (3.GM) sowie auf der Basis von Werten und deren Umsetzung (4.GM) erfolgt.

  • Entscheidend ist, das Kind am Lenkrad sitzen zu lassen.
  • Das Kind steuert und sagt, was es will.
  • Die Beifahrer (Lehrenden) führen den Prozess durch Fragen.

Dies erfordert, dass sie sich in das Kind hineinversetzen, mit ihm seine Werte und Ziele sowie deren Auswirkungen klären und sich dabei selbst ganz zurücknehmen können. Sie fühlen sich gemeinsam in den gewünschten Zielzustand ein und helfen dem Kind, das Ergebnis so genau wie möglich zu beschreiben.

 

Lehrende fragen anstatt zu sagen.

 

Potenzialorientierte Gesprächsführung

Wesentlich an der Potenzialorientierten Gesprächsführung ist es, das zu formulieren, was an die Stelle des Bisherigen treten soll.

Zuerst wird das Ziel definiert und dann die Wege dorthin ausgelotet. Aus einem Hauptziel können kleinere Ziele definiert werden, die der Formel SMART entsprechen:

S             Spezifisch, präzise, klar

M            Messbar, nachvollziehbar, erreichbar

A             Anspruchsvoll, herausfordernd

R             Realistisch, beeinflussbar, erreichbar

T             Terminiert, auf einen konkreten, festen Zeitraum bezogen.

Wunderfrage

Wie wird es sein, wenn das Problem wie durch ein Wunder gelöst wird?

  • Was wäre anders?
  • Was wären Zeichen für das Wunder?
  • Was würdest du an dir bemerken?
  • Wer würde noch etwas bemerken?
  • Wie werden andere es bemerken?
  • Was werden andere bemerken, was an dir anders ist?
  • Wenn andere etwas bemerken, was werden diese anders machen?
  • Wenn sie das tun, was wird dann für dich anders sein?

Handlungsorientierte Sprache

Der wichtigste Moment ist „Jetzt“ und das Leben fragt an: Was machst du daraus?

„Du hast jetzt, jeden Augenblick, jeden Tag – immer neu die Möglichkeit, dich von deiner besten Seite zu zeigen – und du allein kannst entscheiden, ob und wie du das machst.“

Diesen Satz in der Klasse immer wieder einzustreuen oder auch aufzuhängen, eröffnet ganz neue Perspektiven und holt SuS aus den Schubladen.

In einer handlungsorientierten Sprache wird das Wort „aber“ durch „und“ ersetzt, weil dadurch eine Gleichwertigkeit erreicht wird. Durch „aber“ erhält der Teil des Satzes mehr Gewicht und relativiert oft den positiven Teil, z. B. :

  • „Markus ist ein braver, fleißiger Schüler, aber beim Lesen hat er Schwierigkeiten.“

im Gegensatz zu

„Markus ist ein braver, fleißiger Schüler und beim Lesen hat er Schwierigkeiten.“

Skalenarbeit

Sie ist ein sehr einfaches und anschauliches Ausdrucksmittel für SuS, verdeutlicht die Entfernung zum Ziel, macht klar, dass das Ziel manchmal nicht sofort erreicht werden kann und muss. Alle Teilschritte zum Ziel sind Erfolge!

Fragen:

  • 10 ist dein Ziel, 1 das Gegenteil davon - Wo stehst du jetzt?
  • Wenn du auf X stehst, was ist dann bei X+1 anders?
  • Was müsstest du tun, um auf X+1 zu kommen?
  • Wer würde X+1 bemerken?
  • Woran?
  • Woran noch?

Sehr lustig ist es für SuS, diese Skalenarbeit im Turnsaal zu vielen verschiedenen Fragestellungen durchzuführen.

WOWW –Ansatz : Working On What Works

Dieser Ansatz wurde von Steve de Shazer, Insoo Kim Berg und Kollegen entwickelt und besagt, dass man vor allem mit Gelungenem und dem Gelingenden arbeiten soll und orientiert sich an den Zielen. Die Skalenarbeit kann man hier als Messinstrument einsetzen, um den Fortschritt sicht – und spürbar zu machen.

Veröffentlicht am 09.03.2022