Geborgenheit in Schule und Unterricht. Eine Kärntner Studie zum Wohlbefinden von Schüler*innen.

Das Gefühl von Geborgenheit gilt im Allgemeinen als ein transkulturell universelles Grundbedürfnis, dessen Fundament Sicherheit, Vertrauen und emotionale Wärme darstellen. Im Bildungskontext ist Geborgenheit eine zentrale Voraussetzung für schulischen Erfolg und sowohl hinsichtlich formaler Bildungsprozesse als auch für inzidentelles Lernen unumgänglich. Zudem führt die Wahrnehmung von Geborgenheit in Schule und Unterricht zur Steigerung des psychischen und physischen Wohlbefindens, zu einer gesteigerten Selbstsicherheit, einem erhöhtem Explorationsverhalten, zu einer Steigerung der allgemeinen Anstrengungsbereitschaft und ermöglicht eine sukzessive Identitätsentwicklung.

Das Forschungsprojekt „GSV Bildung“, unter der Leitung von HS-Prof. Mag. Dr. Matthias Huber, widmet sich dieser zentralen Emotion im Schulkontext und untersucht erstmals wie Schüler*innen das Gefühl von Geborgenheit in Schule und Unterreicht erleben, inwiefern sich dabei Schüler*innen in ihrer Wahrnehmung von Geborgenheit typisieren lassen und aus welchen Dimensionen und Faktoren sich Geborgenheit zusammensetzt. Insgesamt nahmen 1462 Kärntner Schüler*innen aus 17 Schulen und 87 Schulklassen der Primar- und Sekundarstufe 1 an der vorliegenden Studie teil. Die Untersuchung gilt somit nicht nur als statistisch repräsentativ, sondern stellt gleichzeitig eine der größten Studien zum schulischen Wohlbefinden in Kärnten dar. Zu den Ergebnissen:
Insgesamt zeigt sich ein positives Gesamtresümee. Der Großteil der untersuchten Schüler*innen fühlt sich in Schule und Unterricht weitgehendst geborgen (rund 60%). Besonders die Lehrpersonen werden von den Schüler*innen sehr positiv wahrgenommen und scheinen ausreichend Vertrauen, Sicherheit und emotionale Wärme zu vermitteln (ca. 70%). Auch die grundsätzlich positive Einstellung der Schüler*innen gegenüber der Schule muss besonders hervorgehoben werden (ca. 60%).  Aber dennoch berichten 15 % der befragten Schüler*innen, sich im Unterricht ungeborgen und oft verletzlich zu fühlen, über 20 % müssen sich in der Schule permanent verstellen und über 40 % geben an, in der Schule nicht darüber sprechen zu können, wie es ihnen persönlich und emotional geht. Zudem haben rund 10% der befragten Schüler*innen ein negatives Selbstbild und weitere 10% erhalten zuhause keinerlei Unterstützung und Hilfe.

Im Zuge einer Faktorenanalyse wurde deutlich, dass sich Geborgenheit in Schule und Unterricht aus vier zentralen Dimensionen zusammensetzt: dem institutionellen Faktor Schule, dem Faktor Mitschüler*innen, dem Faktor Lehrperson und dem Faktor mangelnde Geborgenheit bzw. negative Schulerfahrungen. Die Analyse der Faktoren, die den Mehrebenenkontext von Schule widerspiegeln, zeigt des weiteren, dass es zu einer Abnahme aller vier Dimensionen entlang der Schulklassen und Schulformen kommt. D.h. das Erleben von Geborgenheit in Schule und Unterricht nimmt sukzessive ab; auch die soziale Integration, die positive Einstellung zur Schule und die Selbstwirksamkeit nehmen im Schulverlauf schrittweise ab. Mädchen fühlen sich dabei prinzipiell geborgener, erleben Schule und Unterricht weitaus positiver und haben eine bessere Beziehung zu ihren Lehrpersonen als Burschen. Überdies zeigte sich: Umso höher der Anteil an Burschen, umso niederer ist das Erleben von Geborgenheit bei beiden Geschlechtern; umso höher der Anteil von Schüler*innen mit Nicht-Deutsch als Umgangssprache, umso größer ist das Erleben mangelnder Geborgenheit und negativer Schulerfahrungen in der gesamten Klasse; und umso älter die Schüler*innen, umso negativer bewerten sie ihre Lehrpersonen.

Im Zuge einer Clusteranalyse konnten vier unterschiedliche Typen von Schüler*innen im Kontext des Erlebens von Geborgenheit identifiziert werden: die „Geborgenen“ (61%), die „Lehrer*innenbefürworter“ (19%), die „Lehrer*innenkritiker“ (11%), und die „Ungeborgenen“ (9%). Während die Lehrer*innenbefürworter und Lehrer*innenkritiker suboptimale Konstellation mit diametraler Dynamik darstellen (was sich besonders negativ auf die Bildungsbiographie und das  Klassenklima auswirkt), unterstreicht der Cluster der Geborgenen das positive Gesamtresümee der Studie. Allerdings verdeutlicht der Cluster der Ungeborgenen den eigentlichen Handlungsbedarf und die Relevanz der vorliegenden Untersuchung: Diese Schüler*innen stellen die „eigentlichen Problemfälle“ dar, da sie negative Bewertung auf allen Skalen und Ebenen zeigen und somit den Schultag, das soziale Umfeld und die eigene Bildungsbiografie durchgehend als Belastung erleben. Besonders in den Sekundarstufen wird dies deutlich; Während in den Volksschulen die Geborgenen noch die überwiegende Mehrheit (ca. 73%) bilden, ändert sich dieses Verhältnis in den Sekundarstufen. Dort sink der Anteil der Geborgenen auf 47%, während der Anteil der Ungeborgenen stark ansteigt, wobei besonders männliche Schüler dieser Gruppe zuzurechnen sind. Die standortspezfischen Auswertungen zeigen überdies, dass Schüler*innen an Gymnasien weniger Geborgenheit erleben als an Mittelschulen und dass sich optimale Konstellationen nur in den Primarstufen finden. In der nächsten Projektphase (2023-2025) wird sich das Forschungsteam rund um Matthias Huber der Frage widmen, was die zentralen Einflussfaktoren für das Erleben von Geborgenheit aus Sicht von Lehrpersonen und Schüler*innen sind und welche Implikationen sich daraus für die Unterrichtsgestaltung, die Schulentwicklung und die Lehrer*innenbildung ergeben, um zukünftig das Wohlbefinden in Schule und Unterricht zu steigern.


Kontakt:
HS-Prof. Mag. Dr. Matthias Huber
Professor für Erziehungswissenschaft und Bildungsforschung  
Pädagogische Hochschule Kärnten
Viktor Frankl Hochschule
Kaufmanngasse 8 | A-9020 Klagenfurt
T: +43/699/12621201
E: matthias.huber@ph-kaernten.ac.at

 

 

Veröffentlicht am 21.08.2023